
Weiße Biotechnologie für nachhaltige Kunststoffe
Grün, weiß, rot – da kommt vielen vermutlich spontan die italienische Flagge in den Sinn. Weniger bekannt dürfte sein, dass die drei Farben auch in einer zukunftsweisenden Schlüsseltechnologie eine Rolle spielen: beim Einsatz von Mikroorganismen und Enzymen, die auf Fortschritte und Innovationen in unterschiedlichen Bereichen des modernen Lebens zielen. Während die grüne Biotechnologie in der Landwirtschaft hilft, um zum Beispiel Pflanzen widerstandsfähiger gegen den Klimawandel zu machen, bringt die rote Biotechnologie die Medizin voran – etwa um Impfstoffe zu produzieren, wie man sie zum Schutz gegen Corona nutzt.
Das dritte Feld ist die wei?e oder industrielle Biotechnologie, die zunehmend auch in der Chemie- und Kunststoffbranche zum Tragen kommt. Mit Mikroorganismen und Enzymen als Teile davon lassen sich zum Beispiel komplexe chemische Reaktionen deutlich vereinfachen oder bisher nicht verf¨¹gbare neue Chemikalien herstellen. Zudem finden die Verfahren h?ufig unter milderen Bedingungen statt als mit konventioneller Technik: Temperaturen und Dr¨¹cke sind niedriger, man ben?tigt weniger potenziell sch?dliche organische L?sungsmittel, und unerw¨¹nschte Nebenprodukte k?nnen vermieden oder reduziert werden.
Eigenes Kompetenzzentrum
Um das Potenzial der wei?en Biotechnologie f¨¹r die Kunststoffproduktion zu heben, hat ÃÜÌÒAV 2018 ein eigenes Kompetenzzentrum gegr¨¹ndet. ?Wir nehmen uns die Natur zum Vorbild, die sensationelle Prozesse hervorgebracht hat und seit Millionen von Jahren die Kreislauff¨¹hrung praktiziert¡°, sagt dessen Leiter Dr. Gernot J?ger. ?Mithilfe von Enzymen und Mikroorganismen k?nnen wir alternative Rohstoffe effizient nutzen und somit fossile Ressourcen ersetzen. Gleichzeitig lassen sich unerw¨¹nschte Nebenprodukte vermeiden oder zumindest deutlich reduzieren.¡°

?Wir nehmen uns die Natur zum Vorbild und nutzen ihre Werkzeuge in der Kunststoffproduktion¡°
Den Biotech-Experten steht am Stammsitz von ÃÜÌÒAV in Leverkusen ein frisch modernisiertes Labor zur Verfügung. Hier können biotechnologische Prozesse in einem breiten Spektrum an Größenordnungen besonders realistisch dargestellt werden – Volumen von einem Milliliter bis zu bald 100 Litern sind möglich.
2022 wurde das Kompetenzzentrum um eine spezielle Forschungseinheit erweitert, die Nachwuchsgruppe Enzymkatalyse, kurz NEnzy. Sie wird für fünf Jahre mit insgesamt 2,5 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und kooperiert eng mit der RWTH Aachen. Insbesondere erwartet ÃÜÌÒAV davon weitere Impulse für die Kreislaufwirtschaft, auf die sich das Unternehmen komplett ausrichtet.

Biotechnologie f¨¹r pflanzenbasierte Chemikalien
ÃÜÌÒAV nutzt die industrielle Biotechnologie auch, um Kunststoff-Komponenten auf Basis von pflanzlicher Biomasse anstelle fossiler Rohstoffe herzustellen. Bei einem zentralen Forschungs- und Entwicklungsprojekt geht es um die wichtige Grundchemikalie Anilin. Dazu hat das Unternehmen zusammen mit Partnern ein Verfahren entwickelt, in dem ein maßgeschneiderter Mikroorganismus zum Einsatz kommt. Diese bahnbrechende Technologie wird jetzt in einer speziellen Pilotanlage am Standort Leverkusen für die Produktion im industriellen Maßstab erprobt und weiterentwickelt.
Eine andere Kunststoff-Komponente lässt sich ebenfalls biobasiert und mithilfe von weißer Biotechnologie bereits in ähnlichen Größenordnungen herstellen: das Vorprodukt HDMA, das zur Herstellung von Lacken und Klebstoffen dient. Dies ist ÃÜÌÒAV und dem in den USA ansässigen Biotech-Unternehmen Genomatica im Rahmen einer Partnerschaft geglückt.