
Komfortzonen, Kohlendioxid und Corporate Responsibility neu definieren
John Elkington ¨C einer der weltweit f¨¹hrenden Experten f¨¹r nachhaltige Entwicklung ¨C mag in seinem n¨¹chternen Gesch?ftsanzug und seiner rahmenlosen Brille wie ein h?flicher, ruhiger Herr wirken. Doch er hat es faustdick hinter den Ohren.
Als John 1987 zusammen mit einer Kollegin ein Beratungsunternehmen mit dem Namen SustainAbility gr¨¹ndete, konnte niemand etwas mit dem Begriff anfangen. ?Sustainability¡°, also Nachhaltigkeit, war nicht nur unbekannt ¨C alles, was mit Umweltschutz zu tun hatte, brachte bei Unternehmen auch sofort die Alarmglocken zum Schrillen. Doch innerhalb weniger Jahre gelang es John, an der Denkweise der Unternehmen zu r¨¹tteln: Schon bald baten ihn gro?e Unternehmen wie BP, Umweltrichtlinien f¨¹r sie zu verfassen.

Drei?ig Jahre, neunzehn B¨¹cher und unz?hlige nachhaltige Gesch?ftsl?sungen sp?ter gilt John heute als einer der fortschrittlichsten Denker in Sachen Corporate Responsibility. Er hat es sich zur Mission gemacht, den Mainstream aus seiner Komfortzone zu holen ¨C und er gibt nicht auf. W?hrend die meisten von uns Kohlenstoff inzwischen als Risiko und Ursache des Klimawandels betrachten, begreift John ihn als Ressource und immense Chance.
Zusammen mit unserem Team und anderen globalen Organisationen arbeitet er daran, den wahren Wert des Kohlenstoffs besser zu verstehen und innovative L?sungen zu entwickeln, um seine Produktivit?t zu steigern. Indem er der CO2-Debatte eine neue Perspektive gibt, ebnet er den Weg f¨¹r tiefgreifende ?kologische L?sungen. Und gleichzeitig r¨¹ttelt er Menschen rund um den Globus wach, das Problem des Klimawandels anzupacken.
Im Rahmen unserer Interviewreihe ?Keiner kann sich au?erhalb der Komfortzone wohlf¨¹hlen. Warum nicht?¡° sprach Baratunde Thurston mit John ¨¹ber seine Erfahrungen mit den Komfortzonen von F¨¹hrungskr?ften, ¨¹ber seine aktuellen Bem¨¹hungen, die Komfortzone der Klimaschutzbewegung zu erweitern, und ¨¹ber seine ?berzeugung, dass Unternehmen f¨¹r einen Systemwandel eintreten m¨¹ssen, um eine komfortable Zukunft f¨¹r uns alle zu erm?glichen.

?Ich denke, wir Menschen sind eine sehr erfinderische Spezies. Wir m¨¹ssen es nur schaffen, unseren Grips auf positive, kreative Weise einzusetzen.¡°
Komfortzonen neu definieren

John sagt gern, dass wir uns nur dann weiterentwickeln, wenn wir uns in die Enge getrieben f¨¹hlen, und er muss es wissen ¨C schlie?lich basiert sein Erfolg als ?Nachhaltigkeitsbringer¡° darauf, Menschen mit unangenehmen Situationen zu konfrontieren.
Seit dem Beginn seiner Karriere bringt John die Chefetagen von Unternehmen dazu, ihre Komfortzonen zu verlassen und das Verh?ltnis ihrer Gesch?ftsstrategie zum Thema Nachhaltigkeit neu zu definieren. Das ist eine Lebensaufgabe, da stimmt er durchaus zu. Doch ohne Herausforderung kein Fortschritt, so John.
Im ersten Teil unseres Interviews erz?hlt er uns, was seine pers?nliche Komfortzone ist, wie er die Komfortzonen anderer erweitert und warum er ¨¹berzeugt ist, dass wir alle alte Denkmuster ablegen m¨¹ssen, um die ?kologischen Probleme unserer Zeit zu l?sen.
Was ist Ihre ganz pers?nliche Komfortzone? Ich glaube, am wohlsten f¨¹hle ich mich dort, wo es am unbequemsten ist. Wo ich mich damit auseinandersetzen muss, was ich eigentlich auf diesem Planeten machen soll, und wo ich nebenbei dazulerne.
Sie haben sich selbst als ?Unruhestifter¡° beschrieben. Sie gehen in Unternehmen, in die Chefetage, und Sie konfrontieren F¨¹hrungskr?fte mit ihren eigenen Annahmen und den Auswirkungen, die ihr Gesch?ft auf die Umwelt hat. Ist das richtig? Ja, genau. Es gibt da drau?en wirkliche Unruhestifter. Aktivisten, die ihr Leben oder ihre Lebensgrundlage aufs Spiel setzen. So weit musste ich nicht gehen. Aber ich gehe durchaus Risiken ein. Mich hat einmal jemand als das Sandkorn in der Konzernmuschel beschrieben. Ich sorge f¨¹r Reibung, und wenn mich das Unternehmen so fr¨¹h wie m?glich ausspucken kann, wird es das auch tun. Doch wenn ich bleibe, wo ich bin, passieren manchmal ganz au?ergew?hnliche Dinge.
Entstehen Perlen nicht auf diese Weise? Manchmal ja. Aber sie sind nicht immer perfekt.

Apropos unbequeme Situationen: F¨¹r unseren Planeten ist die Lage inzwischen auch alles andere als komfortabel. Wie beurteilen Sie unsere derzeitige Situation? Tja, ich glaube, wir entwickeln uns vor allem dann weiter, wenn wir uns in die Enge getrieben f¨¹hlen. Und so eng wie jetzt war es noch nie um uns herum. Es gibt so viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Artensterben, zur Versauerung der Meere, zur globalen Erw?rmung... Die Liste ist lang. Wir steuern in die falsche Richtung, und das mit ungeahnter Geschwindigkeit.
In diese heikle Lage sind wir auch dadurch geraten, dass wir unseren eigenen Komfort ¨¹ber alles andere gestellt haben. Das Konzept einer Komfortzone ist sehr stark. Ich denke, die meisten von uns sitzen in der eigenen Komfortzone, ohne viel dar¨¹ber nachzudenken. Und wir alle brauchen sie. Wir alle brauchen einen Ort, wo wir unsere Akkus aufladen und ganz wir selbst sein k?nnen. Doch so langsam dringt die Au?enwelt in unsere Komfortzone ein. Sie sendet uns einige sehr starke Signale, die uns sagen: ?Was auch immer du tust, h?r auf damit.¡°
Sie sagten, unsere Spezies habe sich selbst in die Enge getrieben, und mit Blick auf den Klimawandel sei es noch nie zuvor so eng um uns herum gewesen. Wie kommen wir aus dieser Situation wieder heraus? Es w?re schon viel getan, wenn wir einfach aufwachen und lernen w¨¹rden, die Welt als Ganzes wahrzunehmen und nicht nur unsere eigene Komfortzone zu betrachten. Ich denke, wir Menschen sind eine sehr erfinderische Spezies. Wir m¨¹ssen es nur schaffen, unseren Grips auf positive, kreative Weise einzusetzen. Das ist momentan eine enorm spannende Zeit f¨¹r Ver?nderungen.

?Die Tatsache, dass wir so etwas tats?chlich in Angriff nehmen ¨C Kohlendioxid binden und es kommerziell nutzen ¨C ist ungeheuer spannend.¡°
Kohlendioxid neu definieren

Angesichts der immer unbequemeren Lage, in die die globale Erw?rmung unseren Planeten bringt, sieht John uns an einem Wendepunkt der Geschichte stehen, an dem wir L?sungen gegen den Klimawandel v?llig neu definieren m¨¹ssen. Bislang besteht die Kernbotschaft der Klimaschutzbewegung darin, vor den vernichtenden Folgen unserer Abh?ngigkeit von fossilen Brennstoffen zu warnen, und die von ihr geforderten Ma?nahmen konzentrieren sich vor allem auf die ?Reduktion¡°, ?Eind?mmung¡° oder ?Stabilisierung¡° unserer Emissionen. Doch mit der Verbesserung unserer CO2-Bilanz allein ist es noch lange nicht getan, meint John.
Zusammen mit unserem Team und anderen Unternehmen entwickelt er neue Gesch?ftsmodelle und Technologien, mit denen sich die Produktivit?t des Kohlenstoffs erh?hen und die globale Erw?rmung bek?mpfen ¨C und sogar umkehren ¨C l?sst. Im zweiten Teil unseres Interviews spricht John ¨¹ber die Kraft des positiven Denkens beim Thema Kohlenstoff und die nachhaltigen Anwendungsm?glichkeiten von Kohlendioxid, die heute bereits existieren.
Sie haben die 2020er Jahre als ein notwendiges Jahrzehnt des Umbruchs beschrieben, in dem wir endlich die Wende schaffen m¨¹ssen. Was meinen Sie damit? Ich bin fest davon ¨¹berzeugt, dass die n?chsten zehn Jahre von absolut entscheidender Bedeutung sind, und das liegt zum Teil auch daran, dass die Vereinten Nationen die Nachhaltigkeitsziele entwickelt haben, mit denen wir nicht nur die Zukunft gestalten sollen, die wir uns w¨¹nschen, sondern die Zukunft, die wir brauchen ¨C und das bis 2030.
Wenn wir uns mit dem Klimawandel und den k¨¹nftigen Herausforderungen f¨¹r die Spezies Mensch besch?ftigen, dann hei?t das auch, anders ¨¹ber unsere Ressourcen nachzudenken. Sie haben von der Produktivit?t von Kohlenstoff gesprochen, der ?Carbon Productivity¡°. M¨¹ssen wir der Kohle doch nicht den Krieg erkl?ren? Eine Kriegserkl?rung ist immer problematisch, egal gegen wen oder was. Viele Jahre hie? es nur: ?Verbrennt weniger Kohle. Schr?nkt euch ein.¡° Doch inzwischen sind wir an einem Punkt, an dem wir anfangen, uns zu fragen: ?Was k?nnen wir mit der Kohle, die wir verbrennen, sonst noch machen?¡° Pl?tzlich experimentieren Menschen mit Ideen, wie sie es zuvor nie getan h?tten. Das ist ein entscheidender Schritt nach vorn.

K?nnen Sie beschreiben, wie man einen Rohstoff wie Kohlendioxid zu etwas Produktivem macht? Fr¨¹her war das Einzige, was Menschen mit Kohlendioxid gemacht haben, ihn durch gro?e Schornsteine in die Atmosph?re zu blasen. Doch nun wird uns langsam klar, dass wir aus gebundenem Kohlendioxid Brennstoffe herstellen k?nnen. Wir k?nnen daraus Materialien herstellen. Wir k?nnen ganz viele Dinge herstellen. Die chemischen M?glichkeiten entwickeln sich st?ndig weiter. Ich finde, das ist eine der gro?en St?rken des Konzepts der ?Carbon Productivity¡°: Es bringt Menschen dazu, kreativ zu werden.
Wir definieren das Abfallprodukt Kohlendioxid also neu und stellen dabei fest, dass dieses Abfallprodukt selbst zu einem produktiven System oder zur Schaffung eines Produkts beitragen kann. Sobald man anf?ngt, Kohlendioxid nicht mehr nur als etwas zu betrachten, das man in die Luft bl?st, sondern als etwas, das man gerne binden und nutzen m?chte, entwickelt sich eine gewisse Magie. ÃÜÌÒAV hat zum Beispiel Kohlendioxid aus der Atmosph?re gebunden und in n¨¹tzliche Produkte wie Matratzen verwandelt. Die Tatsache, dass wir so etwas tats?chlich in Angriff nehmen ¨C Kohlendioxid binden und es kommerziell nutzen ¨C ist ungeheuer spannend.

?Solange die ?Big Player¡® nicht aus ihrer Ecke herauskommen, innovative Elemente aufgreifen und diese im gro?en Ma?stab weiterentwickeln, werden die Ver?nderungen nicht schnell genug stattfinden.¡°
Corporate Responsibility neu definieren

Um ein nachhaltiges Klima und Wohlstand in der Welt zu schaffen, sieht John keine andere M?glichkeit, als unsere Wirtschaft neu auszurichten und zum Bewahrer der Systeme unseres Planeten zu machen. Dabei gehe es nicht mehr nur darum, sich ein angemessen ?gr¨¹nes¡° Image zu verpassen, wie er es k¨¹rzlich in der New York Times ausdr¨¹ckte. Auch nicht darum, einfach nur Checklisten abzuhaken. Wenn wir eine Weltwirtschaft aufbauen wollen, die funktioniert, dann braucht es seiner Meinung nach einen grundlegenden Systemwandel.
Im letzten Teil unseres Interviews erkl?rt John, welche Rolle Unternehmen beim Schutz unseres Planeten spielen und wie neue Konzepte wie das der Carbon Productivity einen Innovationsgeist wachkitzeln k?nnen, der die Grenzen einzelner Branchen ¨¹berschreitet.
Sie haben die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen erw?hnt. Welche Rolle spielen Unternehmen bei der Erreichung dieser Ziele? Ich denke, das Problem ist, dass sich viele Unternehmen diese 17 Ziele anschauen und sich sagen: ?Wir machen ein bisschen was davon und ein bisschen davon. Wir machen drei Dinge. Super, Aufgabe erf¨¹llt!¡° So funktioniert das aber nicht. Die Unternehmen befinden sich gerade in einem Lernprozess und beginnen zu realisieren, dass es nicht nur um Ver?nderung in kleinen Schritten geht. Es geht um eine Ver?nderung des Systems. Das ist eine ganz andere Dimension.
Was m¨¹ssten Unternehmen tun, um ein sinnvolles Nachhaltigkeitskonzept zu entwickeln und es auch tats?chlich umzusetzen? Ich denke, der erste Punkt w?re, mehr Kontakt zur Welt da drau?en zu suchen. Manager m¨¹ssen sich in der realen Welt umschauen ¨C nicht nur in dem kleinen Teil davon, in dem sie sich wohl f¨¹hlen ¨C um auf Menschen zu sto?en, die an grundlegenden Ver?nderungen des Systems arbeiten. Solange die ?Big Player¡° nicht aus ihrer Ecke herauskommen, innovative Elemente aufgreifen und diese im gro?en Ma?stab weiterentwickeln, werden die Ver?nderungen nicht schnell genug stattfinden.
Sie arbeiten an der Schnittstelle zwischen Aktivismus und Corporate Governance. Wie k?nnten Unternehmen dazu beitragen, uns vor dem Schritt in den Abgrund zu bewahren? Als ich mit meiner Arbeit begann, vertraten Gruppen wie Greenpeace den Standpunkt: ?Wir m¨¹ssen der Wirtschaft mit Gesetzen und Regelungen einfach nur gen¨¹gend Grenzen setzen, dann ist die Sache erledigt.¡° Doch ich war schon immer der Ansicht, dass sich die Dinge nicht oder nicht schnell genug in die richtige Richtung entwickeln, solange wir nicht den kreativen Instinkt der Unternehmen wachrufen k?nnen. Die Unternehmen sind der entscheidende Faktor, weil sie die finanziellen Mittel haben. Sie k?nnen Technologien entwickeln und zur Verf¨¹gung stellen. Aber das tun sie nur, wenn sie verstehen, dass sich unsere Realit?t gerade grundlegend ver?ndert. Dazu sind Schritte n?tig, die deutlich weitgreifender sind als alles, was Unternehmen ¨C selbst viele der vorbildlichsten Unternehmen ¨C im Moment tun.
Die Vorstellung, dass Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit zu einem festen Bestandteil ihres Gesch?ftsmodells und auch ihrer finanziellen Zielvorgaben machen ¨C ist das ¨¹berhaupt m?glich? Alles ist m?glich. Wenn wir zum Beispiel ¨¹ber Produktivit?t und neue Formen der Wertsch?pfung auf Basis von Kohlenstoff sprechen, dann f?ngt das Gesch?ftszentrum im Gehirn an zu arbeiten. Anbieter wie ÃÜÌÒAV diskutieren inzwischen mit Kunden, Bauunternehmen und Automobilherstellern dar¨¹ber, wie mit weniger Kohlenstoff ein h?herer Wert generiert werden kann. Vor uns liegt noch ein langer Weg. Doch das Entscheidende ist, dass wir angefangen haben, ¨¹ber diesen Weg nachzudenken.
Um es zusammenzufassen: Wir k?nnen es uns nicht leisten, passiv zu bleiben, und das Konzept der Carbon Productivity kann bei Unternehmen einen Innovationsgeist wachrufen und uns schneller ans Ziel bringen. Ist das richtig? So ist es. Lange Zeit haben die meisten Menschen, die mit Ressourcen wie Kohlenstoff zu tun hatten, in kleinen Schritten gedacht ¨C wie sie eine Verbesserung von 1 oder 2 Prozent pro Jahr erreichen k?nnen. Jetzt experimentieren die Menschen auf einmal mit Konzepten des exponentiellen Wandels, wie sie es nie zuvor getan haben. Das ist ein echter Fortschritt.